Rechtliche Anforderungen an die Telemedizin

2018 wurde eine Neufassung des § 7 Abs. 4 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzt*innen (MBO-Ä) beschlossen. Die Regelung stellt klar, dass im Grundsatz die ärztliche Beratung und Behandlung im persönlichen Kontakt zwischen Ärzt*in und Patient*in zu erfolgen hat. Der persönliche Kontakt stellt also weiterhin den „Goldstandard“ ärztlichen Handelns dar. Im Unterschied zur alten Regelung lässt die jetzige Fassung im Einzelfall eine ausschließliche Fernbehandlung zu, wenn dies ärztlich vertretbar ist, die erforderliche Sorgfalt gewahrt wird und die Patient*in über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.

Zudem ist gesetzlich geregelt, dass die Ärzt*in in Deutschland ansässig sein muss, eine Fernbehandlung durch ausländische Ärzt*innen ist somit rechtswidrig.

Im Übrigen bleiben alle rechtlichen Rahmenbedingungen unberührt und alle berufsrechtlichen Bestimmungen sind unverändert zu beachten (§ 7 Abs. 4 MBO-Ä).

Die Fernbehandlung kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen. Eine Abgrenzung ist notwendig, da sowohl Unterschiede bei den Anforderungen als auch bei den Abrechnungsmodalitäten existieren.

Grundsätzlich sind die Kommunikationswege Telefon, E-Mail, Videotelefonie, über den Mobilfunkdienst versandte Nachrichten, Briefe sowie Rundfunk- und Telemedien zur Fernbehandlung in Deutschland zulässig.

Nach § 7 Abs. 4 MBO-Ä sollen Geschäftsmodelle ausgeschlossen werden, im Rahmen derer eine Beratung oder Behandlung ausschließlich über Kommunikationsmedien erfolgt. Vielmehr hat die behandelnde Ärzt*in im Einzelfall zu prüfen, ob der betreffende Fall für eine (ausschließliche) Fernbehandlung geeignet ist. Maßstab ist auch hier die ärztliche Sorgfalt.

Die Verantwortung über die ärztliche Vertretbarkeit liegt bei der behandelnden Ärzt*in. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei einer Fernbehandlung nicht alle erforderlichen Untersuchungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um sich ein umfassendes Bild zu machen. Auch im Rahmen einer Fernbehandlung kann sich herausstellen, dass diese nicht mehr vertretbar ist und im persönlichen Kontakt erfolgen muss.

Auch im Rahmen der telemedizinischen Behandlung gelten die Maßstäbe der MBO-Ä. Gemäß §§ 2 Abs. 2 und 3, 11 MBO-Ä haben Ärzt*innen „ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen bei ihrer Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen“.

Es ist der anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse einzuhalten. Die Behandlung muss nicht nur vertretbar sein, sondern Befunderhebung, Beratung und Behandlung müssen so durchgeführt werden, dass dies dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.

Des Weiteren müssen auch die Dokumentationspflichten nach § 10 MBO-Ä MBO-Ä und des Behandlungsvertrages (§ 630f BGB) eingehalten werden. Hierbei muss sich die Dokumentation auch auf die Aspekte der ausschließlichen Fernbehandlung erstrecken, § 7 Abs. 4 MBO-Ä.

Im Rahmen der Fernbehandlung sollte die behandelnde Ärzt*in nicht nur prüfen, ob in der konkreten Situation auf einen physischen Ärtz*in-Patient*innen-Kontakt verzichtet werden kann, sondern auch, ob die Komplexität der erforderlichen Aufklärung das für eine fernmündliche Kommunikation vertretbare Maß überschreitet.

Das Gebot der Aufklärungspflicht aus § 8 MBO-Ä überschneidet sich mit den zivilrechtlichen Vorgaben in § 630e Abs. 1 und 2 BGB, der eine Aufklärung der Patient*innen über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände verlangt.

Im Rahmen der Fernbehandlung ist insbesondere folgendes zu beachten:

Es ist darauf hinzuweisen, was die Fernbehandlung im konkreten Einzelfall von der Behandlung im persönlichen Kontakt unterscheidet, zum Beispiel, dass sie von der Qualität der Daten- bzw. Informationsübermittlung des jeweiligen Kommunikationsmediums abhängig ist.

Aufzuklärende Umstände sind beispielsweise Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie.

Nach § 630e Abs. 1 BGB ist zudem auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.

Grundsätze der Rechtsprechung zur sogenannten Neulandmethode besagen, dass Patient*innen auch auf die Gefahr von Gesundheitsschäden hingewiesen werden müssen und das Bewusstsein zu schaffen ist, dass auch das Ausmaß grundsätzlich bekannter Risiken wegen der Neuheit des Verfahrens nicht zuverlässig eingeschätzt werden kann.

Nach Behandlungsvertragsrecht muss die Aufklärung nach §630e Abs. 2 BGB mündlich erfolgen und kann sich dabei ergänzend auf Unterlagen in Textform beziehen.  Durch eine fehlende Legaldefinition der „Mündlichkeit“ im BGB ist eine „fernmündliche“ Aufklärung hierdurch nicht ausgeschlossen. In der Gesetzesbegründung zu §630e BGB wird darauf hingewiesen, dass eine Aufklärung zumindest in einfach gelagerten Fällen auch per Telefon erfolgen kann.  Wenn das Gespräch nicht per Telefon, sondern in einem Video-Chat geführt wird, bestehen noch weniger Defizite im Vergleich zum allgemeinen Aufklärungsgebot, da der Behandler auch nonverbale Äußerungen der Patient*innen erkennen und berücksichtigen kann.  Eine Aufklärung ausschließlich über E-Mail-Kommunikation oder in einem Chat-Programm ohne sprachliche Unterstützung genügt den Aufklärungsanforderungen dagegen nicht.

Die Aufklärung soll Patient*innen ermöglichen, eine informierte Entscheidung zu treffen. Im Ergebnis kann dies auch bedeuten, dass sich Patient*innen für eine Behandlung im persönlichen Kontakt statt einer Fernbehandlung entscheiden.

Mit dem am 15. August 2019 verkündeten Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) wurde das bislang geltende Verbot der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an Patient*innen bei offenkundig fehlendem persönlichen Ärzt*in-Patient*in-Kontakt aufgehoben (§ 48 Abs. 1 Satz 2 AMG a.F.). Apotheken dürfen nun verschreibungspflichtige Arzneimittel abgeben, die die Ärzt*in im Rahmen einer ausschließlichen Fernbehandlung verschrieben hat. Zu beachten ist, dass ein elektronisches Rezept unter Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur ausgestellt werden muss (vgl. § 48 Abs. 2 Nr. 7 AMG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittelverschreibungsverordnung sowie §§ 86, 129 Abs. 4a, 300 SGB V).

Inwieweit Werbung für Fernbehandlungen zulässig ist, lässt sich nur im konkreten Einzelfall beantworten.

§ 27 MBO-Ä gestattet Ärzt*innen sachliche berufsbezogene Informationen und untersagt berufswidrige Werbung, insbesondere in Form von anpreisender, irreführender oder vergleichender Werbung. In diesem Rahmen könnte ein*e Ärzt*in aus berufsrechtlicher Sicht über das Angebot von (ausschließlicher) Fernbehandlung über Kommunikationsmedien informieren. Gemäß § 9 S. 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG) ist aber die Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht (Fernbehandlung) ausdrücklich untersagt. Dies gilt jedoch gemäß § 9 S. 2 HWG nicht für Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

Es wird empfohlen, sich im konkreten Einzelfall eine rechtliche Einschätzung einzuholen.

Auch im Rahmen einer telemedizinischen Behandlung ist auf den durch die Ärzt*in einzuhaltenden Standard abzustellen. Die Fernbehandlung stellt dabei eine Behandlungsalternative zur physischen Behandlung dar. Es spricht viel dafür, dass für sie ein eigener medizinischer Standard unter Berücksichtigung der Anforderungen des § 7 Abs. 4 MBO-Ä sowie allgemeinen Grundsätze entwickelt werden muss. Demnach muss eine sorgfältige und gewissenhafte medizinische Abwägung von Vor- und Nachteilen der Fernbehandlung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und des Wohls der konkreten Patient*in vorgenommen werden. Sofern kein Standard besteht, ist die Sorgfalt eines vorsichtigen Arztes einzuhalten. Im Allgemeinen gilt: je schwerer der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, desto höher die Anforderungen an die medizinische Vertretbarkeit der gewählten Behandlungsmethode. Dabei sind die konkreten, individuellen Umstände wie gesundheitliche Situation der Patient*in oder technische Möglichkeiten, die für und gegen die Fernbehandlung sprechen sowie mögliche Erkenntnisdefizite aufgrund der technischen Ausstattung zu berücksichtigen. Demnach ist auch zu prüfen, ob alle notwendigen Erkenntnisse per Telemedizin gewonnen werden können. Notwendig ist auch, dass die Ärzt*in darauf hinweist, dass gegebenenfalls ein*e weitere Fachärzt*in hinzuzuziehen ist. Im Zweifelsfall wird empfohlen, dass die behandelnde Ärzt*in auf eine persönliche Behandlung bestehen soll.

Teilweise wird unter Berücksichtigung der Privatautonomie eine Standardunterschreitung für möglich erachtet. In einem solchen Fall treffen die behandelnde Ärzt*in jedoch besondere Aufklärungspflichten, die auf die Standardunterschreitung und die damit verbundenen Risiken hinweisen. Dabei ist die reine Vereinbarung über eine telemedizinische Beratung bzw. Behandlung für eine angemessene Aufklärung über die Standardunterschreitung nicht ausreichend. Auch entspricht ein Hinweis im Rahmen der AGB nicht den Standard einer angemessenen Aufklärung.

Es wird empfohlen, sich im Zweifelsfall eine rechtliche Einschätzung einzuholen.